Nachlese

28.01.2022 11:00 - Uhr

Von Balance und Antrieb

Lukas Lauermann muss nichts mehr beweisen. Seinem Publikum nicht und vor allem nicht sich selbst. Die zahlreichen Auftritte in namhaften Häusern und bei renommierten Veranstaltungen sind nur der äußerliche Beweis dafür, dass es nichts mehr zu beweisen gibt. Seine brillanten Fertigkeiten als Cellist sind gefragt und unantastbar. Doch Lauermann suhlt und sonnt sich nicht im sicheren Terrain seiner Erfolge, er sucht nach Neuem. Und dieses Neue findet er nicht, wie manch andere/r, in der Sicherheit von Ableitungen oder zaghaften Ergänzungen von Bestehendem. Lukas Lauermann wirft stattdessen einen Blick auf seine eigene musikalische Seele, findet das Neue, indem er hinter jede Kulisse seines Selbst blickt und musikalisch aufarbeitet, was er dort gefunden hat.

Am Anfang seines Programmes „IN“ erlebt man Lauermann in einer Selbstvergessenheit auf der Bühne, die sich wie ein wärmender Mantel der Ruhe über das Publikum legt. Seine ganze Wahrnehmung ist auf seine Inneres gerichtet und würde Lauermann nicht ab und an ein paar kurze Worte an die Zuhörer richten, man müsste im Saal annehmen, dass man selbst gar nicht anwesend ist.

Lauermann möchte mit seinem kontemplativen Kompositionen den Zuhörer mit sich alleine lassen und den vom Alltag gehetzten und gestressten Geist damit anregen, zur Ruhe zu kommen. Und genau dieses ruhende Gleichgewicht braucht es auch, um die diffizilen Klänge und subtilen Lautgewebe, die Lauermann mit seinem Cello und einem Set elektronischer Pinselstriche sich heranbilden lässt, in sich aufzunehmen. Über die Ohren, über die Haut, über den sechsten Sinn als spirituelles Portal zur Seele.

Die Kompositionen, die Lauermann in „IN“ in den Saal schweben lässt sind so fragil und feingliedrig, dass man ganz automatisch die Augen schließt, um seinem Fühlen mehr Raum zu geben. Und doch geht es dem Künstler nicht um Harmonie im gelernten Sinn. Immer wieder finden sich in den Stücken drängende Nebenbotschaften, die man als Störgeräusche interpretieren möchte, als Ausdruck einer seelischen Bitterkeit, die gegen den glattgebügelten Konsens, dem wir uns auf der Gewohnheitsautobahn nur allzu gerne hingeben, Sturm läuft.

Lauermann erzählt damit in seinen Stücken von seiner und unserer tief sitzenden Sehnsucht nach Einvernehmen und Frieden und dass es dennoch ein gesundes Maß an Unbequemlichkeit braucht, um zu wachsen und neue Triebe zu bilden. So sehr man geschlossenen Auges in seinen wundervollen Kompositionen versinken und zur Ruhe kommen möchte, so sehr versteht es Lukas Lauermann zur rechten Zeit immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass unser inneres Gleichgewicht nicht aus vollendeter Harmonie geboren wird, sondern aus einer fragilen Balance aus Geborgenheit und Weiterentwicklung. Es fiel schwer die Augen wieder zu öffnen.

(mw)