Nachlese

01.03.2024 10:00 - Uhr

Liegt das Paradies in Wien?

In den Nachtgesängen von Christoph Bochdansky (Puppenspiel, Erzähler), Klemens Lendl (Gesang, Geige) und David Müller (Gesang, Gitarre) geht es viel um den Himmel, das Paradies und die Hölle. Nur – so richtig sicher, wo das eine aufhört und das andere beginnt, ist man sich als Zuschauer nicht wirklich.

Satan interessiert sich einen feuchten Kehricht für andere und Faust ist ziemlich angefressen, weil er gegen den Höllenfürsten letztendlich den Kürzeren gezogen hat. Die beiden beweisen einen ganz eigenen Humor, wenn sie sich im Magier-Duell in so ziemlich alles verwandeln, um den anderen zu banalisieren, bis hin zu Socken und Unterhosen. Die paradiesischen Gestalten hingegen sind zwar echte Erscheinungen und ihre fantasievolle Ausgestaltung verschlägt einem die Sprache, dennoch muten sie an, als wären sie zu Lebzeiten von der Pest hinweggerafft worden.

Die Nachtgesänge lassen jedenfalls sehr viel Spielraum für Fantasie und Interpretation und genau das macht diesen Abend so himmlisch aufregend. Als Zuschauer schaut man auf die Bühne und wird zum Kind, das all seine Sinne und Schleusen weit aufmacht, um in seiner ganz eigenen Traumwelt zu versinken. Oder versinkt man gerade in Floridsdorf in einer Wiener Melange aus Wein und Morbidität? Die Allegorie der Nacht erzählt einstweilen, wie der Künstler in einem Anfall von Größenwahn seine eigene Bewunderung verschluckt und damit bedeutungslos wird. Mit Verlaub – das ist Wiener Zentralfriedhofssatire, täglich von 22:00 bis 00:00 Uhr, Ortsansässige frei, für Besucher nur mit Voranmeldung.

Die Nachtgesänge entziehen sich dem Versuch, einen Handlungsstrang zu identifizieren und das ist gut so. Wer auf einen roten Faden Wert legt, findet diesen am ehesten in der morbiden Anmutung der Figuren und begleitenden Lieder. Irgendwo stecken immer ein wenig Tod und Siechtum, hinreißend gewürzt mit schwarzgrauem Humor und knackiger Satire. Ein absolutes Highlight ist die Ausgestaltung der Puppen, die von Christoph Bochdansky so großartig geschaffen und belebt werden. Man kann sich an den, zum Teil bizarren und so detailreich und liebevoll entworfenen Figuren gar nicht sattsehen.

Allem Realismus so fern wie es nur geht, erlauben die Protagonisten jedem einzelnen Zuschauer die ganz eigene Interpretation des Dargestellten. Ob ein Paradiesbewohner ein weiteres Mal seine Seele aushaucht oder schlicht einen fahren lässt – kaum ein Stück begibt sich so sehr in die Hände des Betrachters wie diese Nachtgesänge.

Für Klemens Lendl und David Müller als Großmeister der maroden Wiener Glücksseligkeit scheinen die Nachtgesänge wohl ein Art Kompendium ihrer Leidenschaften zu sein. Die spröde Herzlichkeit, mit der Die Strottern den Abend mit einer musikalischen Friedhofsmauer umrahmen, liegt den beiden im Wiener Blut wie niemandem sonst. Sie gehen mit „der Dackn durch die Deckn“, singen vom kleinen Tod Toderl, allerlei schmerzhafter Unbill und einmal mehr muss man lachen, während sich das Herz vor Gram zusammenzieht. Ob das Paradies in Wien liegt, lässt sich auch nach den Nachtgeschichten nicht eindeutig beantworten, aber mit Sicherheit eine himmlische Vorstellung der Hölle.

(mw)