Nachlese

24.02.2024 10:00 - Uhr

Die Anima von Gordon Matthew Thomas Sumner

Vorausgeschickt: Ich bin ein großer Verehrer von Stings musikalischem Werk. Und vielleicht deswegen auch so sensibel, wenn es um Covers geht. Jemand nimmt das kompositorische Schaffen an sich und setzt es für seine Zwecke ein. Melodie, Text und Songstruktur bleiben dabei meistens gleich. Es gibt originalgetreue Coverversionen, die sich kaum von der Originalversion unterscheiden lassen, da sie täuschend echt sind. Bei anderen Versionen wiederum kommt eine so große Entfremdung zustande, dass man die ursprüngliche Fassung kaum noch wiedererkennt. Ja, zugegeben, eine lange Einleitung für eine Konzert-Rezension, aber da müssen sie leider durch. Ich bin auch noch nicht fertig. Denn eine Frage beschäftigt mich auch noch in diesem Zusammenhang: Warum nimmt sich ein Frauen-Ensemble die Songs eines Mannes vor? Das geschieht immer wieder: Rebekka Bakken singt Tom Waits, Cat Power Bob Dylan, Beth Hart präsentiert ein aggressiv-erotisches Album mit Led-Zeppelin-Songs, Lucinda Williams singt mit harscher Stimme Stones-Songs. Ich weiß es nicht. So sitze ich brav in der ersten Reihe und warte, was bei dem Niniwe-Konzert "Sister Moon – A Tribute to Sting" auf mich zukommt.

Schon beim ersten Lied komme ich ins Grübeln. "You Will Be My Ain True Love" ist kein Gassenhauer aus dem musikalischen Füllhorn Stings, ein Lied aus dem Jahre 2003, das er für den Film "Unterwegs nach Cold Mountain" geschrieben hat und auch damals schon von einer Frau, nämlich von Alison Krauss gesungen wurde. Eine Inspiration, dem die vier Ausnahmesängerinnen gefolgt sind? Mag sein. Die nächsten Interpretationen lassen mein Staunen weiterwachsen. Die Arrangements - alle von Winnie Brückner selbst verfasst, erweisen sich als feinziselierte Kunstwerke, die nicht dem ersten Gedanken folgen, den ein Song auslöst. Es scheint, als würde sie (die von sich behauptet, Texte würden sie nur in zweiter Linie interessieren) wie eine Forscherin ans Werk gehen, die Kompositionen in ihre kleinsten Bestandteile zerlegen, sie zu drehen und zu wenden, um sie dann zu einer neuen Collage zusammenzusetzen. Dabei geschieht folgendes: Es scheint zu gelingen, dass durch diesen Prozess die Anima, das Weibliche im Mann, in den Vordergrund tritt. Hohe Sensibilität und Intuitionsfähigkeit war Gordon Matthew Thomas Sumner (wie Sting mit bürgerlichem Namen heißt) wahrscheinlich niemals fremd, aber hier kommen genau diese femininen Charakterteile seiner Musik zum Vorschein. Und als würde Winnie Brückner an mancher Stelle ein Fragezeichen setzen, kommt nicht genau da der erlösende Dur-Akkord, quasi das Happy End der Erzählung, nein, eine kurze dissonante Pointe stellt dies einen Wimperschlag davor noch in Frage, um dann doch den Zügel freizugeben zum lustvollen Ende.

So entwickelt sich dieses Konzert zu einer Perlenkette an magischen Momenten, wenn Winnie Brückner (Sopran), Lena Sundermeyer (Sopran), Caroline Krohn (Alt) und Hanne Schellmann (Alt) ihre reichen, resonanten Harmonien in die Dunkelheit des Saales schicken, schimmernde Klänge wie der goldene Faden in einem prächtigen musikalischen Teppich. Niniwe Vocal Art - der Name steht seit jeher für Grenzgänge zwischen den Genres, bei diesem Konzert beweisen sie, dass man auch Grenzen innerhalb eines Genres sprengen kann. Die Kraft ihrer Musik liegt im lustvollen, homogenen und überaus präzisen Gesang und in der Eindringlichkeit, die in der Lage ist, einem das Dach über dem Kopf abzunehmen und die Illusion zu erzeugen, dass diese Musik nur von Frauen geschaffen sein kann und nicht von Sting. Und irgendwie stimmt das auch. Vier Frauen erzählen Sting - ein großes Erlebnis für ein begeistertes Publikum und auch Sting hätte es gefallen, da bin ich sicher...

(lf)