Nachlese

Am 26. Jänner des noch so frischen Jahres 2019 gab die Neo-Wienerlied-Combo 5/8erl in Ehr’n ihr Seekirchen-Debüt auf der Bühne des Emailwerks. Ein Konzert, über das es nun zu berichten gilt. Was schreibt man aber über eine Band, die in den letzten fünf Jahren zu Tode - oder viel öfter - in den Himmel rezensiert wurden. Als Zeuge dieses denkwürdigen Abends kann ich nur einige wichtige Dinge unterstreichen und bestätigen. 5/8erl in Ehr’n ist eine Formation mit einem erstaunlichen Feingefühl, einer fast zärtlichen Sensibilität für das Wort und den Ton. Sie schlagen dem Publikum mit ihren Songs Denkmuster vor, die vor Doppelbödigkeiten geradezu triefen, das Konzertpublikum hat jede Möglichkeit, „etwas“ darin zu entdecken.

Die Bandbreite der Themen ist groß und gegensätzlich, ich erwähne nur die beiden Kulminationspunkte Liebe und Politik, dazwischen findet sich auch noch so allerhand. Leider ist das aktuelle Programm nun schon fast zwei Jahre alt, mich hätte brennend interessiert, wie die aktuellen österreichischen Zustände im Wiener Soul ihren Niederschlag finden würden. Doch das wird noch kommen, bis dahin muss man z.B. mit „Alaba How Do You Do“ sein Auskommen finden. Immer noch großartig. Und die Liebe? Ja, auch da gibt es hinterfotzigen Ohrenschmeichler wie „Wann I di ned kennen würd, würd I auf Di stehn“. Kurz gesagt: Ja, das ist ganz oben auf der musikalischen Fahnenstange, diese Mischung aus Jazz, Soul, Blues und Pop kommt intensiv unaufdringlich und charmant böse daher. Aber da war doch diese Eigendefinition ihrer Musik, bei der (unvergleichlich genialen) Merchandising-Performance am Ende des Konzertes auf den feilgebotenen T-Shirts gut leserlich: Wiener Soul.

Ein Anstoß, doch einmal über diese Begrifflichkeit zu sinnieren. Was ist das eigentlich? Soul als bestimmende Musikrichtung? Soul im Sinne von Seele? Die Wiener Seele? Seele ist ja der geistige oder immaterielle Teil eines Menschen, der als unsterblich gilt. Oder ist damit die emotionale oder intellektuelle Energie, wie sie sich in einem Kunstwerk oder einer künstlerischen Performance zeigt, gemeint? Wie oft liest man „...ihrer Interpretation fehlte die Seele“. Da kommen wir der Sache schon näher. Es geht um Gefühl, Emotion, Leidenschaft, Animation, Intensität, Leidenschaft, Begeisterung, Energie, Vitalität, Lebendigkeit, Geist, Inspiration, Engagement. Ja, das habe ich alles gespürt bei diesen fünf Musiker-Persönlichkeiten, aber ist das tatsächlich der Kern des Wiener Soul, so wie 5/8erl in Ehr’n das meinen?

Oder geht es ihnen tatsächlich um das musikalische Spiegelbild der Wiener Seele, dieser Melange aus Grant, Neid und gespielter Höflichkeit? Dieses typisch Wienerische, nicht in Ruhe über einen bestimmten Sachverhalt nachzudenken, sondern jeden Stammtisch mit den eigens gezüchteten Lebensweisheiten zu überstrahlen, ergänzt durch die neuesten Neuigkeiten aus Qualitätsmedien wie Krone, Heute und Österreich. Touristen mögen sie gerne, die Wiener, weil sie die ganze Pracht und Herrlichkeit ihrer Stadt kennenlernen möchten. Obdachlose hingegen werden mit Nichtachtung bestraft, da sie die Schattenseiten ihrer Metropole so gut es geht verdrängen. Trotzdem haben sie sich eh alle lieb. Jedes Wochenende saufen sie sich diese Stadt schiach und verdrängen dabei wie gut es ihnen eigentlich geht. Zwischen „Ich bekomm noch ein Krügerl“ und „Das war schon immer so“, verfallen sie in Depression und schlurfen irgendwann traurig Richtung heimwärts. Doch am nächsten Tag ist alles besser. Sie sind fröhlich, lachen, singen, tanzen und dann wachen sie auf. Wiener Seele. Wiener Soul.

Ich glaube, 5/8erl in Ehr’n das augenzwinkernde Spiegelbild einer Wiener Seele, wie wir sie gerne als Klischee verwenden. Sie nutzen die einzigartige Farbe dieser „Lebensform“ (anders kann man das Wienerische fast nicht bezeichnen) und sichern ihr damit noch eine Verlängerung ihrer Lebenszeit. Diese Lebendigkeit des Wienerischen am Rande des Abgrunds kommt bei 5/8erl in Ehr’n so leicht und schmeichelnd daher, dass man glauben könnte, Wiener Soul ist unsterblich. Und die Wiener Seele auch.

Ein würdiger und fulminanter Abschluss des 2. Miniaturfestivals Wiener.Lied.Gut. im Emailwerk Seekirchen Drei Konzerte, drei Blickwinkel auf Wien und das Wienerlied, drei großartige Formationen. Nach dem Festival ist vor dem Festival. Die Suche für 2020 hat begonnen.

(lf)