Nachlese

23.01.2022 20:00 - Uhr

Von Drachen und Dro(h)nen - eine musikalische Liebesbeziehung

Wenn man an musikalische Paarbeziehungen denkt, kommen einem sofort folgende Namen in den Sinn: Sonny and Cher, Kurt Cobain und Courtney Love, Paul und Linda McCartney, Carly Simon und James Taylor, Ike und Tina Turner, oder im ernsten Fach Alma und Gustav Mahler sowie die Lebensbeziehung von Benjamin Britten und dem Tenor Peter Pears. Ich denke seit gestern an zwei andere, neue Namen: Anna Lang und Alois Eberl. Unter dem Namen "Sinfonia de Carnaval" erobern sie gerade Konzertsaal um Konzertsaal, zu gutem Recht. Sie nennen das, was sie auf die Bühne bringen "Instrumental Art Pop", quasi eine Genrebezeichnung, aber eigentlich mehr als das, denn sie können ein viel höheres Gut ihr eigen nennen: die Genrefreiheit. Sie verweben Jazz, Rock, Pop, Funk, Electronic und auch Folk zu einem feinmaschigen Klangteppich, der die Zuhörer*nnen auf eine äußerst spannende Reise mitnimmt. Mit Cello, Posaune, Akkordeon, Percussion, Elektronik und dem Gesang von Alois Eberl, der die virtuosen sphärischen Ausflüge wieder auf menschlichen Boden zurückführt, gelingt ein Experiment, das von feiner klanglicher Schönheit, aber auch von orchestraler Wucht geprägt ist. Fesselnde Melodien wechseln sich ab mit atemberaubenden Soli, immer steht der Live-Gedanke im Vordergrund, Loops werden nur dann eingesetzt, wenn sie für die Komposition unabdinglich sind. Kompositionen, von denen die meisten aus Anna Langs Feder stammen, aber auch Alois Eberl stellt sein Talent zum Komponieren unter Beweis. Die Arrangements sind abwechslungsreich und immer von Überraschungen geprägt, Instrumente werden abseits der ihnen zugedachten Bestimmung zu multifunktionalen Klangkörpern. Und all das dient nur einem einzigen Zweck: Geschichten zu erzählen.

Zu all dem gehört eine überproportionale Portion Leidenschaft und viel Gefühl. Geht das vielleicht in einer musikalischen Paar- und Liebesbeziehung besser? Gemeinsam arbeiten, gemeinsam leben? Welche Herausforderungen sind das? Gegenseitige künstlerische Befruchtungen, manchmal ein neidvoller Blick auf das Schaffen des Anderen, wie funktionieren Rollenverteilungen und Rollenbilder und Veränderungen der eigenen Künstlerpersönlichkeit? Man könnte ja fragen, aber ich habe es nicht getan, zu beeindruckt war ich von dem konzertanten Erlebnis im Seekirchner Emailwerk. Für das Publikum spielt es ja nur insofern eine Rolle, weil etwas sehr Intimes in dieser Musik zu spüren ist, gemeinsame Geschichten, die zu Musik werden, ein "Sichgegenseitigspüren", das diese Musik zu etwas Außergewöhnlichem macht. Geschichten von fegenden Drachen, vom Mond und seiner Beziehung zu Eiswürfeln, von Dro(h)nen und Nebel. Man ist versucht, dem Wunsch zu erliegen, diese Geschichten auch anders erzählt zu bekommen, in Worten. Aber das wäre nicht dasselbe. Hier gibt es alles in einem: Die Geschichten, die Bilder im Kopf, den Soundtrack dazu. Wo immer sie also die Namen Anna Lang und Alois Eberl oder "Sinfonia de Carnaval" lesen oder hören, wenn es eine Konzertankündigung ist, gehen sie hin und sie werden reich belohnt.

(lf)