Nachlese

20.02.2022 11:00 - Uhr

Von der unschuldigen Freude eines Mark Twain-Abenteuers

Der Blues hat, vielleicht mehr als jedes andere Genre, immer seinen Anteil an bunten Charakteren gehabt. Vielleicht ist es wirklich diese Musik, die nur von Menschen gemacht werden kann, die diesen Sehnsuchtsblick schon in den Augen haben, die das Gefühl ausdrücken, wie es ist immer "on the road" zu sein. Dieses Ambivalente zwischen Glück uns Einsamkeit, das keine Musik besser ausdrücken kann als der Blues. Und es braucht nicht viel, um ein Kopfkino zu erzeugen: zwei Männer, ein paar akustische Gitarren, die Stimme von Oliver Mally und die nachdenklichen Finger von Peter Schneider und dazu seine Mundharmonika. Diese beiden erzeugen eine Atmosphäre auf der Bühne, die jede und jedem im Publikum auf der Stelle in eine andere Welt sinken lässt. Dabei geht es nicht nur um die genial gefühlvoll komponierten Songs von Mally, nein, er schafft auch Platz für Bob Dylan und Tom Waits, die dann unsichtbare Mitspieler dieser Performance werden und mit den beiden "Buddies" auf der Bühne die Menschen im Dunklen mit geschlossenen Augen und offenen Ohren in ihre Jugend zurückzaubern.

Die beiden wagen in jedem Song Grenzgänge und sei es nur mit der Lautstärke. Oft sinkt der Gitarrensound der beiden fleischgewordenen Bluesmaschinen bis weit unter die Hörbarkeitsgrenze, der Minimalismus, mit der Peter Schneider Töne schneidert, ist einzigartig, oft erlebt man die Kraft der Kunst des Weglassens. Es geht nicht um "die" Töne, sondern immer um den richtigen Ton, glaubt man zu verstehen. Manchmal geht es mit ihm durch und er zaubert rasende Läufe auf das Griffbrett und beweist, warum er schon in den Bands von Ike Turner, Willy Michl, Westernhagen und Söllner viel Ruhm erspielt hat. Mally hingegen ist "der" geniale Geschichtenerzähler, seine Stimme immer dem Inhalt des Songs geschuldet, manchmal sanft und geschmeidig mit viel Charakter, und dann wieder mit wildest-rauem Blues-Sound. Das Gesamtpaket der beiden bietet reinsten Blues, der mit der unschuldigen Freude eines Mark Twain-Abenteuers daherkommt. Und auch dazwischen wird so viel Charme versprüht, dass es unmöglich ist, nicht mitgerissen zu werden.

Am Ende dieses Konzertes erinnere ich mich an ein Zitat von John Lee Hooker, das ich nun extra nochmals gesucht und wiedergefunden habe, weil es all das sagt, was diese beiden meisterhaften Musiker einen Abend lang auf die Emailwerk-Bühne gebrannt haben: „Der Blues ist der Ursprung aller Musik. Er ist die Wurzel. Jeder Song hat ein bisschen Blues in sich, denn der Blues ist die Wurzel von allem. Blues ist unter uns, seit es die Welt gibt. Seit Männer und Frauen sich lieben und sich trennen, gibt es den Blues. Liebeskummer, Schmerz, Ärger, Enttäuschung, Geld, Armut – davon bekommt man den Blues, und es geht jedem so, egal welche Hautfarbe, ob arm oder reich. Der Blues hat mehr zu sagen, als jede andere Musik.“ Mehr ist nicht dazu zu sagen. Ein wunderbares Konzert.

(lf)