Nachlese

12.10.2020 10:00 - Uhr

Und Sie sah, dass es gut war.

 

Wenn Julia Lacherstorfer sich der weiblichen Seite des österreichischen Liedguts widmet, kommt etwas sehr Kontemplatives dabei heraus. Ob das daran liegt, dass die Rolle der Frauen in ländlichen Gebieten etwas Eingeengtes und von Arbeit Durchtränktes war (und teilweise immer noch ist), und der weibliche Zugang zur Musik daher oftmals melancholisch bis hin zum Bitteren war, ist eine Vermutung, die nahe liegt. In jedem Fall konstruiert Lacherstorfer daraus ein sehr bewegendes, musikalisches Bild, das die Zuhörer auf feinen, sehr nachdenklichen Fäden durch den Abend trägt. Sehr passend dazu wählt Lacherstorfer den Programmnamen „Die Spinnerin“, in dem sie, ausgehend von der meditativen Tätigkeit des Wollespinnens als Innbegriff der weiblichen Tätigkeit, eine musikalische Landschaft gebiert, die den leisen und dennoch äußerst sinnlichen Zugang der Frau, als Reflexion zum monotonen Tagesablauf zum Thema hat.

Lacherstorfers Interpretationen sind zum Teil die tonale Manifestation einer tiefsitzenden Sehnsucht nach Leben, zum Teil die verborgene Abrechnung mit einem unfreiwilligen Rollenbild und teils unbeugsames, ja fast trotziges Erheben gegen das marschmusizierende ländliche Patriarchat. Dennoch – egal wie sensibel und einfühlsam die brillante Sängerin und Musikerin zusammen mit  ihrer nicht minder genial begleitenden Sophie Abraham das feminine Liedgut präsentiert, zu keinem Zeitpunkt entsteht auch nur ein Anflug von Weinerlichkeit oder gar Selbstmitleid. Die beiden Künstlerlinnen strahlen trotz aller Empfindsamkeit so viel Kraft und Stärke, soviel Willen aus, dass es einem beim Zuhören ganz automatisch das Kreuz gerade biegt. Die vielen Eigenkompositionen entziehen dem Programm den Gesichtspunkt der Vergangenheitsbewältigung oder Aufarbeitung, vielmehr geht es Lacherstorfer um die Erschaffung einer selbstständigen musikalischen Landschaft, deren die Einflüsse und Ansätze des fraulichen Empfindens früherer Zeiten zwar zugrunde liegen, aus deren Anmutung sie aber ein neues Selbstverständnis ausformt. Eine sängerische und musikalische Bildersprache, wie sie bisher wohl einzigartig ist!

(mw)