Nachlese

10.12.2022 09:00 - Uhr

Die Faszination von Balg und Bogenstrich

Es war das letzte Konzert des Jahres in der Cello-Schwerpunktreihe des Emailwerk-Programms 2022. Nach Sinfonia de Carnaval, dem Radio.String.Quartett, Lukas Lauermann, Sophie Abraham folgten nun Marie Spaemann und Christian Bakanic mit ihrem Programm „Metamorphosis“. Eines vorweg: Es war eine gut programmierte und toll besetzte Reihe, die alle Facetten des Cellos - solo oder im Zusammenspiel - gezeigt hat, zumindest jene, die diesem Instrument in der zeitgenössischen Musikszene einen neue Bedeutung gegeben haben.

Sie bezeichnen sich als Duo, in Wahrheit ist jedes Konzert von Spaemann/Bakanic ein Gipfeltreffen zweier virtouoser Solisten. Beide gehören sie einer jüngeren Generation von MusikerInnen an, die auf eine klassische Ausbildung zurückblicken und schon sehr bald von der Neugierde getrieben, begannen, Genre-Grenzen zu überwinden, nein, zu überbrücken, Genres auch zu verbinden, aber nicht um das Beste aller Musikwelten als Ergebnis hervorzubringen, sondern um etwas Neues zu schaffen. Und das alles auf höchsten musikalischem und technischem Niveau.

Wenn man die Kombination dieser beiden Instrumente einmal gehört hat, sind nur wenige Dinge so fesselnd wie der Klang eines Cellos und eines Akkordeons zusammen. Es ist ein gemeinsamer schilfartiger Reichtum, weich und sanft, bereichert durch die charakteristischen Phrasierungen von Balg und Bogenstrich. Es sind Instrumente, die sich in hohem Maße ergänzen und einen, immer wieder neuen, Klangteppich erzeugen.

Wesentlich für die Musik von Marie Spaemann und Christian Bakanic ist jedoch, wie konsequent sie unterschiedliche Traditionen als Sprungbrett für ihre eigenen Ideen nutzen. So wird zum Beispiel für die CD „Metamorphosis“ ein Tango einfach selbst komponiert, weil auf der silbernen Scheibe nur Eigenkompositionen Platz finden sollen. Stichwort Tango: Seit Astor Piazolla mit seinem Tango Nuevo und, auf Seiten des Jazz, dessen Schüler, der Franzose Richard Galliano, das Akkordeon hoffähig machten und in die sogenannte Hochkultur aufsteigen ließen, ist um dieses Instrument eine unglaublich kreative Szene entstanden. Christian Bakanic ist maßgeblicher Teil dieser Bewegung, seine Virtuosität sucht seinesgleichen, ihm gelingen anspruchsvolle Vibrati der Begleitakkorde perfekt, ebenso das rhythmisch starke, präzise gespielte Stakkato der melodiösen Themen, oft schafft er mit hoher Sensibilität das Fundament für das Cello.

Einerseits trägt ihre individuelle Verschmelzung von Stilen wunderbar subtile, kammermusikalische Züge. Andererseits bietet sie mit klaren Melodien, mitreißenden Rhythmen und dem Soul in Spaemanns variabler Stimme Anknüpfungspunkte für Pop und Jazz. Von ihr wird das Cello in Perfektion gezupft, gestrichen oder rhythmisch beklopft. Wenn dann noch Spielarten der klassischen Moderne, Ideen des Tango Nuevo, europäischer Folk und Jazz sowie ein wenig Balkan hinzukommen, entsteht eine beeindruckend eigenwillige, poetische Klangsprache.

Diese beiden außergewöhnlichen Künstler luden das bestens gelaunte Emailwerk Publikum (einmal durfte es sogar mitsingen) zu einer Reise in die Welt der Musik ein, sie warfen ein neues Licht auf die gelernten Rollen der beiden Instrumente, auf die traditionellen Themen Mitteleuropas, den Tango und den Jazz, um eine ganz eigenständige, originelle und leuchtende Sprache zu schaffen. Ein wunderbarer Ausklang einer sehr schönen, kammermusikalischen Reihe.

(lf)